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Das Riedlinger Richtschwert

Das erworbene Richtschwert links und das abgängige, beide aus der Zeit um 1750 (Montage). Foto: Winfried Aßfalg.

Viele Jahre hing das Riedlinger Richtschwert im Ausstellungsraum des Altertumsvereins 1851 e.V. in einer Fensterleibung des Kapellenraums im Spital zum Hl. Geist, bis beschlossen wurde, dieses Gebäude 1997ff einer Generalsanierung zu unterziehen. Dazu mussten alle ausgestellten Gegenstände in städtischer Regie verpackt und zwischengelagert werden, um später in der „Schönen Stiege“ präsentiert zu werden. Das Schwert war einst im jahrhundertealten Leprosenhaus, der Wohnung des letzten Scharfrichters an der Altheimer Straße bei  der ehemaligen Katharinenkapelle, von der Familie Kleinknecht gefunden worden und kam einem Zeitungsbericht von 1930 zufolge von Fabrikant Röhrle, einem Nachkommen des letzten Scharfrichters Maximilian Röhrle, in den Besitz des Altertumsvereins.

Bei der Neupräsentation der Exponate in der „Schönen Stiege“ 2002/2003 stellte man seitens der Stadtverwaltung entsetzt fest, dass das Richtschwert und ein keltischer Dolch abgängig waren. Alle Recherchen der damals Verantwortlichen führten zu keinem  Ergebnis, das Schwert wurde bei der Kriminalpolizei als „gestohlen“ gemeldet und wird dort seither auf der Fahndungsliste geführt.

2012 sollte in Luzern (Schweiz) ein Richtschwert derselben Ausführung versteigert werden, wurde aber erst freigegeben, nachdem in Kontakt mit Riedlingen geklärt war, dass es sich nicht um das Riedlinger Richtschwert handelt. Nun tauchte vor wenigen Wochen ein weiteres Exemplar auf, das in Kreuzlingen zur Versteigerung kam. (Der Tipp hierzu kam von einem aufmerksamen Mitglied des Altertumsvereins.) Über Gravurvergleiche konnte festgestellt werden, dass auch dieses Exemplar nicht identisch ist mit dem abgängigen Riedlinger Schwert. Alle genannten Richtschwerter stammten jedoch von demselben Degenschmied August Kolleffel aus Ravensburg und sind mit bloßem Auge kaum voneinander zu unterscheiden. Deshalb hatte sich die Vorstandschaft des Altertumsvereins in Absprache mit der Stadtverwaltung Riedlingen dazu entschlossen, auf den Artikel 48048 des Kreuzlinger Auktionshauses zu bieten. Die Riedlinger haben schließlich den Zuschlag erhalten. Es ist zwar nicht das Riedlinger Richtschwert, aber ein nahezu identisches Exemplar aus der gleichen Zeit um 1750, dessen Herkunft leider unbekannt ist.

Gravuren in der Hohlkehle der Klinge des Richtschwerts, die nahezu identisch sind mit dem abgängigen Riedlinger Schwert. Oben und unten: das jetzt ersteigerte, in der Mitte das abgängige Riedlinger Schwert. Am Klingenansatz hat sich der Degenschmied Augustus Kolleffel aus Ravensburg verewigt. Fotos: Winfried Aßfalg.

 

Das Schwert steht für Krieg und Gerechtigkeit. Könige und Kaiser tragen ein Schwert als Machtsymbol. Der Ritterschlag wird mit dem Schwert vollzogen und der hl. Michael steht mit gezücktem Schwert den Verstorbenen beim jüngsten Gericht bei. 

Das Richtschwert ist das ureigenste Gerät eines Scharfrichters und durfte außer ihm niemand berühren. Damit hatte er als von der Stadt oder seiner Herrschaft Verpflichteter das Urteil des Gerichts umzusetzen, wurde „nach den Richtern“ aktiv. Daraus leitet sich die Benennung als „Nachrichter“ ab. Ob der Scharfrichter sein Richtschwert auf eigene Kosten schmieden lassen musste, wurde unterschiedlich gehandhabt. Für Riedlingen ist diesbezüglich nichts überliefert.

Der Scharfrichter auf dem Weg nach Golgotha. Ausschnitt aus dem Wandbild in St. Georg 1589. Foto: Winfried Aßfalg.

Richtschwerter hatten im Spätmittelalter und der frühen Neuzeit die Form eines Beiles, wie dies auch auf dem Passionswandbild in St. Georg zu erkennen ist. Seit dem 17. Jahrhundert setzte sich die Klingenform durch, etwa 85 – 90 Zentimeter lang und sechs bis sieben Zentimeter breit. Das Ende, der „Ort“, ist gerade geschmiedet. Es handelt sich um keine Stich-, sondern um eine Hiebwaffe. Der Griff wird mit über 20 Zentimetern Länge beidhändig gefasst. Die Klinge ist in der Regel kunstvoll verziert. Das Riedlinger Schwert trägt neben einem, die „Blutrinne“ umlaufenden Rankenwerk auf jeder Seite eine zweizeilige Inschrift:

o Herr nimm dißen armen sünder auff in dein Reich
Damit Er Kan selig werden vor Einen glücklichen streich

Der Scharfrichter bat für seinen Delinquenten um Aufnahme in Gottes Reich und für sich, seine Arbeit gut zu verrichten, d.h. nur einen Hieb zu benötigen.

Ich stehe Ich hoffe nebst gott zu Richten Recht
Jesus Christus Du bist Der Richter und ich der Knecht

Dieser Spruch auf der anderen Seite drückte seine Rolle in der Abfolge richterlichen Geschehens aus, die er als Nachrichter und Knecht Gottes (auch seiner Herrschaft) einzunehmen hatte. Gekrönt wird die künstlerische Gestaltung des Schwertes durch eine „Justitia“, die „Personifikation der Gerechtigkeit“. Fast nackt steht sie mit gezücktem Schwert in der rechten und der Waage in der linken Hand auf einem Podest.

Alle derzeit bekannten Kolleffel-Richtschwerter tragen die gleichen Sprüche und sind signiert: Auf einer Seite steht zu lesen Augustus Kolleffel, auf der anderen Seite der Klinge befindet sich Beruf und Ortsangabe: Degenschmit a. Ravenspurg.

Nach der Restaurierung wird das Richtschwert in der „Schönen Stiege“ neben dem vom Riedlinger Scharfrichter Johann Friedrich Vollmar (1718-1804) verfassten „Rezeptbuch für Mensch und Vieh“ aus dem Jahre 1752 präsentiert werden.

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Wappen des Degenschmieds Kolleffel aus Ravensburg. Foto: Dr. Daniel Rapp

Der Degenschmied August Kolleffel wurde 1719 in Ravensburg geboren und starb dort 1772. Im Jahre 1746 gelangte er zur Meisterwürde, wie aus der Zunfttafel der Schmiede von 1756-1766 ersichtlich wird (Auskunft Stadtarchiv Ravensburg). Da er erst als Meister signieren durfte, müssen die Kolleffel- Schwerter aus der Zeit ab 1746 stammen. Von ihm sind weitere Schwerter in Neuchatel und Fribourg (Schweiz) erhalten. Die letzte Hinrichtung mit dem Schwert erfolgte in Riedlingen 1737.

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